Frankfurter Rundschau
23. Juni 2003


Diktat gegen den Hass

In Mazedonien wächst die Gefahr neuer Unruhen

Von Peter H. Matthiesen

1999 hat die Flüchtlingskrise ausgelöst durch den Krieg in Kosovo die Unverträglichkeit der Ethnien in Mazedonien wieder ins Bewusstsein gerückt. 2001 wurde die Verhinderung eines blutigen Bürgerkriegs durch die Internationale Gemeinschaft als Erfolg gefeiert. Demokratisierung und wirtschaftliche Unterstützung sollten die Lösung bringen. Doch wächst inzwischen die Gefahr sozialer Unruhen oder eines neuen Waffengangs wieder. Mazedonien hatte in allen Kriegen auf dem Balkan eine Schlüsselrolle inne.

Die offizielle Lesart, das Land sei ruhig, erweist sich faktisch als falsch. Allein im Januar 2003 wurden nach offiziellen Angaben in Tetovo, der größten albanischen Stadt in Mazedonien, mehr als 30 Menschen ermordet. Neben dem Kampf um die Führung innerhalb der Organisierten Kriminalität haben sich im Norden und Westen des Landes kriminelle Banden einen rechtsfreien Raum geschaffen. Freipressungen von rechtskräftig Verurteilten durch Straßenblockaden sind an der Tagesordnung. Die durch den UN- Verwalter in Kosovo, Michael Steiner, als Terrororganisation verbotene albanische AKSh sucht Schutz und Einfluss in Mazedonien. Weder Kfor noch die mazedonischen Grenzposten können das verhindern.

Die Mazedonier verarmen durch die von der Weltbank erzwungenen Steuererhöhungen. Bei einer Arbeitslosigkeit von offiziell 32 Prozent wächst das Potenzial der Unzufriedenen. Mit vorsichtig geschätzt 500 000 Waffen aller Art im Land erhöht sich das Risiko, dass sich der offene Hass zwischen den Ethnien gewaltsam entlädt. Im August 2001 akzeptierten die Anführer der slawischen Parteien unter dem Druck der Staatengemeinschaft im Friedensplan von Ohrid weitere Minderheitenrechte für die Albaner. Die Verfassung wurde geändert. Für die slawischen Mazedonier ein Diktat. Seitdem gibt es in der Bevölkerung das Gefühl des "Halbprotektorats". Der Staat ist offiziell zwar souverän, aber Entscheidungen trifft die Internationale Gemeinschaft mit Beratern in allen Ministerien und fordert Ergebnisse.

Der aus den Aufständischen um Ali Ahmeti entstandenen albanischen Partei BDI laufen die Anhänger davon. Ihr mangelnder Erfolg in der Koalition fördert interne Spannungen. So ist der Erziehungsminister gefährdet, weil es ihm nicht gelingt, in den Schulen ethnisch gemischten Unterricht durchzusetzen. Die stärkste Regierungspartei, die sozialdemokratische SDSM, hat ihrerseits den Verteidigungsminister und die Außenministerin zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Unter diesen Voraussetzungen muss die von der Staatengemeinschaft aufgegebene Quadratur des Kreises wie Einführung kommunaler Selbstverwaltung und Nutzung beider Sprachen sowie Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität bei fehlenden Finanzen angegangen werden. Über allem steht die Unverletzlichkeit der Grenzen auf dem Balkan. Erfolge sind Mangelware. Erzwungene Grundsätze vermindern Stolz und Hass nicht.

Die Opposition ist in der Selbstfindung. Ex-Premier Ljubco Georgievski hat den Vorsitz in der bisherigen Regierungspartei niedergelegt. Die albanischen Abgeordneten von der oppositionellen DPA lassen ihr Mandat ruhen. Ihr Chef Arben Xhaferi hat die Führung ebenfalls aufgegeben und setzt sich Richtung Kosovo ab. Einig sind sich beide Oppositionsparteien mit wachsender Zustimmung aus Kosovo und Serbien darüber, dass die Umsetzung von Ohrid gescheitert sei und Mazedoniens Zukunft im Föderalismus liege. Sie fordern die Gründung ethnisch reiner Teil-Staaten. Hier spricht die Opposition vielen Bürgern aus der Seele, die nicht mit der jeweils anderen Ethnie leben wollen.

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht die Internationale Gemeinschaft als hassenswerte Besatzer. Die mazedonische Regierung fordert das Ende des ersten EU-Truppeneinsatzes in einem Land. Der Nationalstolz wird sich wie in anderen Ländern durchsetzen, denen Fremdbestimmung aufgezwungen wurde. Diese Entwicklung wird endgültig die Krise herbeiführen, spätestens mit der Entscheidung über den Status Kosovos zum Konflikt führen.

Die EU hat erst nach dem Irak-Konflikt festgestellt, dass sie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln muss. Nicht der Balkan, sondern der Präventivkrieg der USA ließ die Erkenntnis reifen, dass beliebige Forderungen und Grundsätze allein nicht reichen. Wie sagte Erhard Busek, Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, kürzlich: "Nur ist nicht die Region verantwortlich, sondern es trifft die Internationale Gemeinschaft. Wenn man sich auf keine Standpunkte einigen kann... ist es nicht einfach, Stabilität zu ermöglichen."

Hoffnung bleibt, doch die Zeit zu verantwortlichem Handeln der Staatengemeinschaft ist für Mazedonien fast abgelaufen. Lehren hätten seit Bosnien gezogen werden können, doch es fehlt bis heute am politischen Willen. Die Europäische Union versucht, durch Implementierung westlicher Standards in der Innen- und Sicherheitspolitik Frieden herzustellen, lässt aber die zentrale Frage nach dem künftigen Status der Staaten der Region und Kosovos offen. Die Politik hat für den Balkan keine Zielvorstellung und keine Strategie, wie in und nach Krisen zu handeln ist. Dieses betrifft besonders Mazedonien, dass ab Herbst auf sich allein gestellt sein wird.


Peter H. Matthiesen war bis Ende 2002 deutscher Militärattaché in Mazedonien und hat uns diesen Artikel freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.