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Frankfurter Rundschau
20. März 2003 |
Plan trifft Wirklichkeit
Fehler in komplexer Strategie haben komplexe Folgen
von Otfried Nassauer
Wie wird der kommende Krieg gegen Irak wirklich aussehen? Was plant
Washington, um das Regime in Bagdad binnen weniger Tage oder Wochen entscheidend zu
besiegen? Die Antwort auf diese Fragen gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen des
US-Militärs am Golf. In den "Opplan", die Operationsplanung für "Iraqi
Freedom", lässt sich der für die Region zuständige kommandierende General Tommy
Franks nicht hineinschauen. Mehr als zwei Jahre reichen die militärischen Vorbereitungen
zurück. Auf ausdrücklichen Wunsch des Pentagons wurden schon bald nach dem Amtsantritt
Donald Rumsfelds als Verteidigungsminister ganze Lehrgänge von Offizieren an der
Generalstabsakademie in Fort Leavenworth an Szenarien für einen neuen Golf-Krieg
geschult. Sie begannen, neue Operationspläne zu entwerfen.
Der Krieg wird keine Wiederholung des Golf-Kriegs von 1991. Mehrfach veranlasste Donald
Rumsfeld seine Generäle zur Überarbeitung ihre Pläne, weil diese ihn zu stark an eine
Neuauflage des vergangenen Krieges erinnerten. Er forderte, den Krieg mit Hochtechnologie,
Schockwirkung und Geschwindigkeit, nicht aber durch schiere Masse zu gewinnen. Rumsfeld
hat seine eigenen Vorstellungen, wie dieser Krieg zu führen sei. Seinen auf Vorsicht und
alle Eventualitäten bedachten Militärs fuhr er wiederholt in die Parade und forderte sie
auf, mit kleineren Kräften schneller auf Sieg zu planen. Sein Ziel ist es, das Regime und
das Militär Bagdads per Schockwirkung zu paralysieren, ein schneller Sieg mit möglichst
wenig Krieg.
Binnen kürzester Zeit - so sickert aus den Kommandoständen in Katar - sollen bis zu 3000
von Schiffen und Flugzeugen aus abgefeuerte Präzisionswaffen, Marschflugkörper, gelenkte
Bomben und Spezialwaffen zur Zerstörung von Bunkern, wichtigen zivilen wie militärischen
Infrastrukturanlagen sowie Regierungseinrichtungen Irak treffen. Die irakische Luftabwehr
- oder was von ihr nach den monatelangen Bombardements in den Flugverbotszonen noch
funktionsfähig ist - soll ausgeschaltet werden. Luftlandeeinheiten und Spezialeinheiten
sollen Stützpunkte tief innerhalb Iraks aufbauen und möglicherweise wichtige zivile und
zivil-militärische Einrichtungen besetzen. Sie sollen sicherstellen, dass Saddam Hussein
keine Möglichkeit hat, Israel mit reichweitengesteigerten Scud-Raketen zu bedrohen, falls
er solche Waffen noch besitzt. Sie sollen verhindern, dass Iraks Ölfelder in Brand
gesteckt werden. Sie sollen von Süden her schnell bis in den kurdischen Norden
vordringen, um auch dort amerikanische Präsenz sicherzustellen und zu verhindern, dass
ein autonomer Kurdenstaat ausgerufen wird.
Der Aufbau einer zweiten Invasionsfront in der Türkei war bislang nicht realisierbar.
Schon in einer sehr frühen Phase des Krieges sollen gepanzerte Verbände von Kuwait aus
in Irak eindringen. Ein Teil dieser Kräfte soll verhindern, dass irakische Kräfte gegen
Ziele in Kuwait vorgehen können, ein anderer Basra und die südlichen Ölfelder
einnehmen. Gepanzerte, logistisch sehr autonome Einheiten vor allem der Marineinfanterie
sollen mit hoher Geschwindigkeit entlang von Euphrat und Tigris in Richtung Bagdad
vorstoßen.
Die geballte Kraft all dieser Schläge und deren Schockwirkung, so hoffen die
US-Militärs, wird sehr bald zu einem Zusammenbruch der irakischen Streitkräfte führen,
deren Mehrzahl Wehrpflichtige sind. Einheiten, die kapitulieren, soll das Angebot
unterbreitet werden, ihre schweren Waffen abzugeben und mit ihren Handfeuerwaffen in die
Kasernen zurückzukehren. Und schon wäre man die mühsame Fürsorge für zehntausende
Kriegsgefangene los - so das Gedankenspiel. Der Vormarsch könnte ungehindert weitergehen.
Irak soll enthauptet, Saddam Hussein und seinen Getreuen die Möglichkeit genommen werden,
effektiv Führung auszuüben - fast so, wie es bei einem Putsch von innen her wäre. Das
Regime soll implodieren. Dann, so die Hoffnung, wäre der Krieg in wenigen Tagen,
vielleicht auch wenigen Wochen vorüber.
Washington kann heute in der Tat viel stärker auf so genannte intelligente
Abstandswaffen, auf computergestützte und vernetzte Angriffsplanungen, auf elektronisch
erworbenes und aufbereitetes Wissen bauen. Und doch ist keineswegs sicher, dass sich die
Hoffnung auf einen solchen schnellen Sieg auch wirklich bewahrheitet.
Dafür gibt es zu viele Unwägbarkeiten. Schnelle, weiträumige Militärkampagnen dieser
Art erfordern eine exzellente, in dieser Form noch in keinem Krieg erprobte Logistik über
große Entfernungen. Was aber, wenn der Nachschub für tief im irakischen Hinterland
abgesetzte Einheiten zu lange auf sich warten lässt? Was, wenn die irakischen
Streitkräfte nicht oder nicht so schnell kollabieren? Was, wenn zum Beispiel
witterungsbedingte Unbill und damit Mr. Murphy auf den Plan tritt, so dass trotz
umfassender Planung und elektronischer Intelligenz "schief geht, was schief gehen
kann"? Die Hoffnung auf einen schnellen Sieg in einer so hoch komplexen Aktion
könnte sich genauso schnell zerschlagen. Nicht, weil die irakischen Streitkräfte so viel
stärker wären als erwartet, sondern schlicht, weil Fehler in komplexen Systemen oft auch
komplexe Wirkungen nach sich ziehen.
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