Abbau, Umbau, UmzugDer Abzug von Truppen aus Europa wird eine Umstrukturierung der US-Streitkräfte weltweit nach sich ziehen. von Otfried Nassauer Mit einer Rede vor Veteranen in Cincinnati hat US- Präsident George W. Bush am 16. August einen weltweiten Umbau der US-Streitkräfte angekündigt. Die Vorschläge sind Instrument im US-Präsidentschaftswahlkampf, werden aber auch zur tatsächlichen Transformation der Truppen führen. Der Autor zeigt die Auswirkungen auf Europa. 60 000 bis 70 000 Soldaten, die heute noch in Europa oder in Südkorea stationiert sind, sollen in die USA verlegt werden. Mit ihnen rund 100 000 Familienangehörige und Zivilangestellte. Zugleich will Bush weltweit neue kleinere Standorte aufbauen, um die Flexibilität Washingtons bei Interventionen rund um den Globus zu verbessern. "Der neue Plan wird uns helfen, die Kriege des 21. Jahrhunderts zu führen und zu gewinnen", so Präsident Bush. Der weltweite Zugang der US-Streitkräfte zu Basen, Trainingseinrichtungen und dem Territorium anderer Staaten soll zugleich verbessert werden. Die Stationierung von US-Verbänden - das heißt auch und gerade im Blick auf die neuen Nato-Mitgliedsstaaten: "Einfluss" durch "Anwesenheit von US-Truppen auf die Gastgebernation". Der Abzug der US-Einheiten wird nicht ohne Auswirkungen auf die Bundeswehr bleiben. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Bundeswehr im Rahmen der Nato mit den hier stationierten US-Streitkräften verzahnt ist. Bei den Heeren beider Staaten wird dies an bi-nationalen Korps in Heidelberg und Ulm deutlich. Beide wurden nach dem Modell der Führungsnation aufgebaut. Im V. Amerikanisch-Deutschen Korps in Heidelberg stellen die USA den Großteil des Korpsstabs, die Korpstruppen und eine der beiden Divisionen, die 1. Infanteriedivision. Deutscherseits gehört die 13. Panzergrenadierdivision aus Leipzig zu dem Verband. Umgekehrt ist es beim II. Deutsch-Amerikanischen Korps in Ulm. Hier hat die Bundeswehr die Führungsrolle und stellt den Großteil des Korpsstabes, die Korpstruppen sowie die in München beheimatete 1. Gebirgsdivision, während die US-Army die 1. Panzerdivision bereitstellt. Werden beide Divisionen der US-Army aus Deutschland abgezogen, so werden auch die Korps-Strukturen beider Nationen für ihre bisherige Nato-Aufgabe überflüssig. Da noch unklar ist, welche neuen Verbände das US-Heer nach Deutschland verlegen will, kann nur spekuliert werden, ob sich die USA im Heeresbereich aus den Strukturen multinationaler Integration der Nato in Mitteleuropa ganz zurückziehen oder beabsichtigen, eine neue Struktur unterhalb der Korpsebene aufzubauen. Dafür böte sich ein US-Beitrag zur neuen Nato-Response Force an, wenn Washington sich denn zu einer Beteiligung an diesem bislang primär europäischen Verband entschließen sollte. Denkbar aber wäre auch, dass die USA aus ihren künftig in Europa stationierten reaktionsschnellen Truppen eine eigene Eingreiftruppe zusammenstellen. Nach Auskunft des Stellvertretenden Oberkommandierenden für die US-Truppen in Europa, General Charles Wald, ist es nämlich nicht nur vorgesehen, Truppen abzuziehen, sondern auch neue Truppen in Europa zu stationieren. So sollen künftig
Hinzu kommen Spezialkräfte. Diese könnten einen US-Eingreifverband bilden, der mit der Nato-Truppe kooperieren aber auch in nationalem Auftrag agieren kann. Dann wäre zu erwarten, dass die US-Streitkräfte Teile ihrer schon heute überdimensionierten nationalen Führungsstruktur in Europa als Kern einer Nato-Führungsstruktur für gemeinsame Einsätze beider Eingreiftruppen anbieten würden. Dies würde Washington auf Dauer wesentlichen Einfluss auf die höheren Führungsstrukturen und die Einsätze der Nato sichern. Für die Bundeswehr, der selbst die Aufgabe bevorsteht, rund 100 weitere Standorte zu schließen, ergibt sich eine Situation, die zwar Nachteile bedeuten aber auch eine Chance sein kann. Die Chance besteht zunächst darin, dass zwei Großverbände, die 1. Gebirgsdivision und die 13. Panzergrenadierdivision und die Korpstruppen des II. Korps umstrukturiert werden können, ohne dass sich dies nachteilig auf die Verpflichtungen gegenüber der Nato auswirkt und mit den Bündnispartnern im Detail abgestimmt werden müsste. Ausgenommen bleibt nur der Stab des II. Korps. Dessen Offiziere haben sich die Aufgabe gesichert, künftig eines der kurzfristig einsetzbaren Hauptquartiere für Nato-Operationen außerhalb des Nato-Gebietes zu werden. Vorteilhaft könnte der Abzug der US-Verbände auch im Blick auf die für die Bundeswehr nutzbare Infrastruktur sein. Viele dieser Liegenschaften werden freigezogen, denn Washington will fast die Hälfte seiner Standorte in Europa aufgeben. Der entstehende Pool ungenutzter Liegenschaften kann in die Planungen der Bundeswehr einbezogen werden und dazu beitragen, dass mehr Bundeswehrstandorte eine wirtschaftlich sinnvolle Größenordnung erreichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Bundeswehr entscheiden sollte, wirtschaftlich und militärisch effiziente Standortstrukturen aufzubauen und ihre Standortstruktur nicht mehr - politisch motiviert - an der Präsenz in der Fläche auszurichten. Nachteilig könnte dagegen sein, dass abzubauende Bundeswehreinheiten zum Teil in den gleichen Bundesländern stationiert sind, die auch vom Abzug der US-Streitkräfte wirtschaftlich betroffen sind - vor allem in Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern. Dieser Nachteil muss nicht eintreten. Denn das Bundesverteidigungsministerium kann entscheiden, auch Truppenteile in anderen Regionen abzubauen und deren Aufgaben in multinationalen Nato-Verbänden jenen Truppenteilen zuzuweisen, die bisher den deutschen Beitrag zu den beiden deutsch-amerikanischen Korps leisteten.
Seit Jahren kursieren - teilweise politisch motiviert - Gerüchte, dass ein Großteil der in Deutschland stationierten US-Truppen als Strafe für die ablehnende Haltung der Bundesregierung zum Irakkrieg nach Ost- und Südosteuropa verlegt werden könnte. Ebenso politisch motiviert sind Gerüchte, dass eine intensive Suche nach geeigneten Standorten im Gange sei. Irrig dürften aber die Vermutungen sein, die USA seien an Großstandorten und großen Trainingsanlagen in Mittel- und Südosteuropa interessiert. Die Argumente, die dafür vorgebracht werden, halten einer ernsthaften Prüfung kaum stand. Laschere Umweltstandards und deshalb "bessere" Trainingsbedingungen dürften die US-Streitkräfte in diesen Ländern höchstens vorübergehend vorfinden, da alle infrage kommenden Stationierungsländer aufgrund ihres (geplanten) Beitritts zur EU nur vorübergehend niedrigere Standards offerieren könnten. Niedrigere Kosten und damit ein höherer Lebensstandard für die stationierten US-Soldaten könnten ein Argument sein. Dieses würde sich aber zu großen Teilen selbst aufheben, da an den neuen Standorten erst teuer neue Infrastruktur zu errichten wäre, die in Deutschland bereits existiert. Hinzu kommt, dass die Standorte in Deutschland als deutlich sicherer gelten dürfen. Ganz sicher aber sprechen politische Motive dafür, kleinere Truppenkontingente in neuen Nato-Mitgliedsstaaten zu stationieren. Mittels solcher Stationierungsmaßnahmen kann sich Washington eine politisch-wirtschaftliche Einflussmöglichkeit auf die Politik dieser Länder sichern und sein Rüstungsexportinteressen wirksamer wahrnehmen. Dazu sind aber kleinere oder auch nur zeitweise bemannte Standorte ausreichend. Die Auslandsbasen der US-Streitkräfte untergliedern sich künftig in drei Kategorien:
Große Main Operating Bases sollen in den neuen Nato-Staaten nicht aufgebaut werden. Denkbar ist, das einige Forward Operating Sites aufgebaut werden. In vielen Fällen aber wird der Zugriff auf geeignete Cooperative Security Locations den US-Streitkräften ausreichend erscheinen. In diesem Kontext machen Berichte Sinn, dass Washington
Darüber hinaus wird immer deutlicher ein US-Interesse erkennbar, die eigene militärische Präsenz über Europa hinaus auszudehnen. Schwerpunkte dieses Interesses sind derzeit Afrika, der Mittlere Osten, der Schwarzmeerraum, der Transkaukasus und Zentralasien. Am Beispiel Afrika: Seit Monaten macht z.B. Nato-Oberbefehlshaber James L. Jones immer wieder darauf aufmerksam, dass die Möglichkeiten der Nato und der USA zur Terrorbekämpfung in Afrika verbessert werden müssen. Kleinere Stützpunkte, so genannte "lilly pads", auf dem afrikanischen Kontinent wurden für die Allianz wie auch als nationale Vorhaben der USA ins Spiel. Jones machte auch klar, dass er sich die 6. US-Flotte, den US-Flugzeugträgerverband im Mittelmeer, auch an anderen Einsatzorten vorstellen kann: "Ich möchte fast wetten, dass die Flugzeugträgergruppen und Gefechtsgruppen für Interventionsoperationen der Zukunft nicht mehr sechs Monate im Mittelmeer eingesetzt werden, sondern die Hälfte der Zeit vor der Westküste Afrikas verbringen werden." Mit der Einrichtung erster kleiner Stützpunkte in Afrika ist zu rechnen, da sie mehreren Interessen Washingtons zugleich dienlich sein könnten. Das sind vor allem
Aus all diesen Interessen ergibt sich eine steigende Begehrlichkeit an Optionen zur militärischen Präsenz in Afrika: Schon heute üben US-Truppen auf tunesischen Stützpunkten. Erste sondierende Gespräche mit anderen afrikanischen Staaten, z.B. Marokko und Mauretannien - finden bereits statt. Militärische Ausbildungshilfe zur Bekämpfung der Terrorismus wird im Rahmen der Pan-Sahel-Initiative, der ostafrikanischen Anti-Terrorismus-Initiative EACTI oder der Anti-Terror-Hilfe ATA verstärkt geleistet. Während des G-8-Gipfels auf Sea Island verkündete Washington zudem in den kommenden fünf Jahren 660 Millionen US-Dollar für die Ausbildung vorrangig afrikanischer Friedenstruppen bereitzustellen. Damit soll die Nachfrage nach US-Truppen, die langfristig in Friedensmissionen gebunden sein könnten, in Grenzen gehalten werden und zugleich die Fähigkeit Washingtons zur Bekämpfung von Proliferation und Terrorismus und zur Absicherung von Rohstoffexporten in Afrika verbessert werden. Schon gibt es sogar erste Vorschläge, die Einrichtung eines dauerhaft zugänglichen Militärstützpunktes oder gar eines kleinen Hauptquartiers auf Sao Tome und Principe zu prüfen. Die kleine Insel liegt mitten im Golf von Guinea, jener Region, der für den Ölexport Afrikas auf absehbare Zukunft die größte Bedeutung zukommt.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit – BITS.
|