Scharfe Warnung vor Washingtons Atomwaffenplänen
von Otfried Nassauer
Das US-Vorhaben, das eigene Atomwaffenarsenal zu modernisieren, löst
international große Sorgen aus. Damit ist die nukleare Rüstungskontrolle gefährdet,
mahnt eine Studie im Auftrag des Pentagon.
Die Nuklearwaffenpolitik der USA wird im Ausland mit größter Skepsis betrachtet. Sie
werde als Ausdruck amerikanischen "Unilateralismus und des Bemühens um absolute
Sicherheit und militärische Überlegenheit" wahrgenommen. Das ist das Ergebnis einer
kürzlich veröffentlichten 350-seitigen Studie, die das Beratungsunternehmen SAIC für
das Pentagon erstellte.
Weit verbreitet ist demzufolge im Ausland die Sicht, dass die USA ihren Nuklearwaffen
ein wachsendes Gewicht beimessen, ihr Nuklearwaffenpotenzial von "Abschreckung auf
Kriegführung, wenn nicht gar Präemption" umstellen und "absichtlich oder
unabsichtlich die Schwelle zum Einsatz nuklearer Waffen absenken". Washington
versuche "aus von der Abschreckung geprägten Beziehungen auszubrechen". Selbst
China und Russland sind laut der Studie unsicher, ob das nur für Schurkenstaaten wie
Nordkorea und den Iran gelte oder auch für diese beiden Atommächte.
Die erweiterte Abschreckung, also der US-Nuklearschirm für Verbündete, werde zwar von
Ländern wie der Türkei, Japan, Australien und einigen neuen Nato-Mitgliedern weiter als
"essenziell" angesehen. Für andere Verbündete - namentlich Deutschland - habe
die erweiterte Abschreckung jedoch deutlich an Bedeutung verloren. Die allermeisten
Verbündeten seien "gegen die Entwicklung neuer, an neue Aufgaben angepasster
Nuklearwaffen niedriger Sprengkraft". Diese seien "politisch spaltend und von
negativer Wirkung für Nichtverbreitungsbemühungen". Die Autoren machen starke
Befürchtungen aus, dass die Nuklearpolitik Washingtons "negative Auswirkungen auf
die nukleare Nichtverbreitung" habe. Selbst engste Freunde raten demnach Washington,
die Sicht anderer Staaten stärker zu beachten. Eine größere Bereitschaft der USA, sich
in Sachen nukleare Abrüstung zu engagieren, könne zu einer "größeren Bereitschaft
Dritter" führen, die Ziele der US-Nichtverbreitungspolitik zu stützen.
Die Studie empfiehlt der US-Regierung dringend, ihre Kommunikationsstrategie zu
ändern. Es gelte Missverständnissen häufiger und früher zu begegnen und die Ziele der
US-Nuklearprogramme präziser darzustellen. Mit Moskau müsse bald ein Dialog über die
Zukunft der strategischen Rüstungskontrolle nach dem Auslaufen des Start-I-Vertrages 2009
aufgenommen werden. Die künftige Rolle nuklearer Waffen in der Nato müsse neu bestimmt
werden. Die Chancen, den Atomwaffensperrvertrag zu stärken, könnten deutlich steigen,
wenn Washington wieder ein Interesse an Debatten über nukleare Abrüstung zeige und sich
wieder aktiv zum Ziel des Vertrages bekenne, letztlich alle Atomwaffen abzurüsten.
Für das Pentagon kommt diese Kritik zu einem ungünstigen Zeitpunkt. In Wien beginnen
die Vorbereitungen für die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages,
in Washington laufen die Etat-Verhandlungen für 2008. Im von den Demokraten beherrschten
Kongress regt sich Widerstand gegen die Pläne der Regierung Bush. Diese will nicht nur
die Trägersysteme der US-Atomwaffen modernisieren, sondern auch gleich in die Entwicklung
einer neuen Generation atomarer Waffen einsteigen und dafür bis 2030 eine völlig neue
Infrastruktur zu Herstellung nuklearer Sprengköpfe aufbauen - den "Complex
2030". Das kostet viele Milliarden.
William Perry, der letzte demokratische Verteidigungsminister, warnte, die Entwicklung
neuer Sprengköpfe werde "unsere Fähigkeit, die internationale Gemeinschaft im Kampf
gegen die Weiterverbreitung anzuführen, substanziell unterminieren". Er forderte,
die Pläne für neue Atomwaffen "für viele Jahre" auszusetzen. Der
einflussreiche Ex-Senator Sam Nunn schlug vor, Geld für die Entwicklung neuer Atomwaffen
solle es nur geben, wenn die Regierung den ungeliebten Atomteststopp-Vertrag endlich
ratifiziere. Selbst der Kommandeur des zuständigen Strategischen Kommandos der
US-Streitkräfte, James E. Cartwright, regte an, den künftigen Bedarf an Atomwaffen noch
einmal zu überprüfen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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