Tailored Deterrence – Eine Nuklearpolitik für Donald
Trump
von Otfried Nassauer
Jeder US-Präsident, der zum ersten Mal gewählt wird,
muss dem
Kongress nach einem Amtsjahr eine Blaupause seiner künftigen
Nuklearpolitik vorlegen. Donald Trump hat das jetzt getan. Nuclear Posture Review (NPR)
heißt das Dokument. Anfang Februar wurde es
öffentlich
vorgestellt. Es unterscheidet sich nur wenig von einem Entwurf, der
bereits im Januar kursierte.
Der Nuclear Posture Review soll unter anderem auf
folgende Fragen antworten:
- Wie soll sich das Nuklearwaffenpotential der USA in
Zukunft verändern?
- Welche politische und militärische Rolle
sollen die US-Atomwaffen künftig erfüllen?
- Wird der Bau neuer oder anderer Kernwaffen verfolgt?
- Wie geht es mit der nuklear-industriellen
Infrastruktur,
mit der atomaren Rüstungskontrolle und der
Nichtverbreitungspolitik weiter?
Trumps NPR entwirft das Konzept einer
„maßgeschneiderten Abschreckung“, einer
tailored
deterrence. Über 40 Mal kommt in dem Dokument das Wort
tailored
vor. Mit diesem NPR hat Donald Trump einem Dokument zugestimmt, das
vorgeblich Krieg und Atomwaffeneinsätze durch eine flexiblere
Abschreckung verhindern will, aber von anderen Staaten als ziemlich
konfrontativ und bedrohlich wahrgenommen werden dürfte. Auf
jeden
Fall verspricht es, teuer zu werden.
Maßgeschneiderte
Abschreckung – das Konzept
Neu ist diese Idee einer tailored deterrence nicht. Sie
wurde
bereits in der ersten Amtszeit von George W. Bush unter
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt und Anfang 2004 im
Entwurf eines künftigen Strategic Deterrence Joint Operating
Concept durch das Pentagons vorgestellt. Knapp drei Jahre
später,
Ende Dezember 2006, wurde daraus eine offizielle, von Rumsfeld
unterzeichnete Zukunftskonzeption für die
US-Streitkräfte,
die den Titel Deterrence Operations – Joint
Operating Concept – Version 2.0 trug.
In der verbleibenden Amtszeit Bushs blieb es allerdings
eine
bloß doktrinäre Konzeption des Militärs,
nicht zuletzt,
weil Rumsfeld sein Ministeramt aufgab und der Kongress weiterhin den
Bau von Atomwaffen mit kleiner und kleinster Sprengkraft nicht
unterstützte. Das blieb auch unter Bushs Nachfolger Barak
Obama
so, der in seinem Nuclear Posture Review 2010 festlegte, er wolle
„keine neuen und keine Nuklearwaffen mit neuen
Fähigkeiten“ entwickeln lassen.*
Unter Obama griff dessen republikanischer
Verteidigungsminister Chuck Hagel die Bezeichnung tailored deterrence
2013 auf, um die bilateral mit Südkorea vereinbarte
Abschreckungsstrategie gegen Nordkorea zu beschreiben.
Wofür steht der Ansatz tailored deterrence
jetzt? Im Kern
und verkürzt: Um potentielle regionale oder strategische
Gegner
von einem Atomwaffeneinsatz gegen die USA oder deren
Verbündete
abzuschrecken oder um sie von einer nuklearen Eskalation in einem
nichtnuklearen Konflikt abzuhalten, sollen diese potentiellen Gegner
jeweils mit einer auf sie maßgeschneiderten Strategie
abgeschreckt werden. Dazu gehört unter anderem auch, dass die
Meinungsbildung, der politische Wille und das Handeln dieser Gegner
gezielt so beeinflusst werden sollen, dass sie von ihnen unterstellten
Plänen für potentielle Nuklearwaffeneinsätze
ablassen,
weil diese ihnen aussichtslos erscheinen. Gegnerische Akteure sollen
aufgrund politischen Drucks, militärischer Drohungen und der
Einschätzung der militärischen Fähigkeiten
der USA zu
dem Schluss kommen, dass es für sie in einer
militärischen
Auseinandersetzung nichts zu gewinnen gibt, weil im eigenen Land
unakzeptable Schäden entstünden, während man
selbst den
USA und deren Verbündeten höchstens begrenzten
Schaden
zufügen könnte.
Dazu bedarf es auf Seiten der USA, folgt man den Autoren
des
NPR, möglichst flexibel einsetzbarer militärischer
Möglichkeiten offensiver und defensiver Art, mit denen man den
betreffenden Gegnern drohen kann. Die atomaren Waffen der USA
müssten möglichst glaubwürdig einsetzbar
sein. Ihre
Sprengkraft und die ungewollten Kollateralschäden, die sie
anrichten würden, dürften nicht so groß
sein, dass die
USA selbst vor ihrem Einsatz zurückschrecken könnten.
Zudem
müsse es eine flexible, auch auf regionale Bedrohungen
ausgerichtete Raketenabwehr geben, die auf die jeweiligen offensiven
gegnerischen Fähigkeiten zugeschnitten sei. Sie müsse
das
Bild einer glaubwürdigen Verteidigungsmöglichkeit
gegen einen
Angriff auf die USA und deren Verbündete vermitteln. Die
Tatsache,
dass sich mehr als 30 Staaten weltweit auf den Schutz durch die
atomaren Waffen Washingtons, die sogenannte erweiterte Abschreckung
verließen, mache zudem deutlich, wie wichtig es sei, dass die
nukleare Abschreckung der USA auch den Verbündeten in den
verschiedenen Weltregionen glaubwürdig erscheine. Angesichts
der
sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der potentiellen Gegner
Washingtons, der ebenfalls jeweils spezifischen Sicherheitssituation in
den unterschiedlichen Weltregionen und der verschiedenen Erwartungen
der Verbündeten an eine nukleare Rückversicherung
müsse
für die USA als Maxime gelten: „No size fits it
all“
– es gibt nicht das eine Nuklearpotential, nicht die eine
Strategie, die für alle Abschreckungsszenarien geeignet
wären. Der Trump‘sche NPR diskutiert das Konzept
einer
maßgeschneiderten Nuklearabschreckung mit Blick auf Russland,
China, Nordkorea, den Iran und die Rückversicherung regionaler
Verbündeter. Er wirbt für dieses Konzept, indem er es
als
wirksame Form der Kriegsverhinderung darstellt und zudem als Weg,
andere Staaten – notfalls mit Druck oder Drohung –
zur
Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen und
Nichtverbreitungszielen zu bewegen.
Dass bei der nuklearen Abrüstung seit
längerem keine
Fortschritte mehr erzielt werden, liegt aus Sicht der Verfasser des NPR
ausschließlich daran, dass andere Staaten, vor allem
Russland,
dem guten Beispiel oder den gutgemeinten Vorschlägen der USA
nicht
folgten, sondern – im Gegenteil –nuklear
aufrüsteten
und höchst gefährliche Veränderungen
hinsichtlich der
Rolle ihrer Nuklearwaffen vornähmen, die die USA und deren
Verbündete immer gefährlicher werdenden Bedrohungen
aussetzten.
Betrachtet man das Konzept der tailored deterrence von
den
dafür geforderten militärischen Fähigkeiten
her oder
durch die Brille potentieller Gegner, dann läuft es allerdings
auf
den Aufbau eines möglichst
kriegführungsfähigen
Nuklearpotentials seitens der USA hinaus, das die Schwelle, Atomwaffen
einzusetzen, deutlich senkt, weil dafür vor allem
zusätzliche
zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft
benötigt werden und zur Beschaffung vorgesehen sind, bei deren
Einsatz die Kollateralschäden relativ klein und kalkulierbar
wären. Mit dem Einsatz solcher Waffen kann – dem NPR
zufolge
– glaubwürdiger gedroht werden.
Konkret vorgesehen sind:
- unterschiedliche Trägersysteme für
atomare Waffen
kleiner und großer Sprengkraft, die diese einerseits so
prompt
und irreversibel wie eine Langstreckenrakete und andererseits so gut
kontrollierbar wie mit einem Flugzeug, also gegebenenfalls auch
rückbeorderbar, zum Ziel bringen können;
- möglichst wirksame strategische und
regionale
Raketenabwehrsysteme – deren konkrete Darstellung soll in
einem
separaten Ballistic Missile Defense Review erfolgen –
für
den Fall, dass ein Gegner zurückschlägt,
sowie
- verbesserte Fähigkeiten zu regionaler
Kriegführung, die zudem bei unbeteiligten atomar bewaffneten
Gegnern im Falle des Einsatzes keinen ungewollten Bedrohungsalarm
auslösen.
So betrachtet, ist das Ziel und zugleich das Ergebnis einer tailored
deterrence ein besser einsetzbares nukleares
Kriegführungspotential. Die Selbstabschreckung sinkt, ein
Nuklearwaffeneinsatz wird leichter vorstellbar und die Schwelle, auf
diese Option zurückzugreifen, wird niedriger. Die technische
Entwicklung befördert die Umsetzung einer solchen Strategie,
weil
moderne und modernisierte Nuklearwaffen deutlich zielgenauer gebaut
werden können, sodass sie mit deutlich kleineren
Sprengköpfen
als bisher und modernsten Zündsystemen auch dann eine
ausreichend
große Zerstörungswahrscheinlichkeit erreichen, wenn
das
entsprechende Ziel bislang nur mit einer Waffe deutlich
größerer Sprengkraft erfolgversprechend angegriffen
werden
konnte.**
Dass man ihr Konzept als eines zur Senkung der nuklearen
Einsatzschwelle und zur Stärkung der Fähigkeit zu
atomarer
Kriegsführung interpretieren kann, wussten die Autoren des
jetzigen NPR natürlich nur zu gut. Daher ihre prophylaktische
Behauptung des Gegenteils: „Um es klar zu sagen: Dies hat
nicht
die Intention, zur nuklearen Kriegführung zu
befähigen, und
es befähigt auch nicht dazu. Es wird auch die Nuklearschwelle
nicht absenken. Vielmehr wird die Erweiterung der
maßgeschneiderten Reaktionsmöglichkeiten der USA
dazu
führen, dass die nukleare Schwelle angehoben wird und dazu
beitragen, dass potentielle Gegner keinen möglichen Vorteil in
einer begrenzten nuklearen Eskalation sehen werden, wodurch ein
Nuklearwaffeneinsatz weniger wahrscheinlich wird.“
Dieser nukleartheologischen Behauptung kann man nur
glauben
oder nicht. Sie oder das Gegenteil zu beweisen, ist nicht
möglich.
Bis zu einem Versagen der nuklearen Abschreckung kann die Behauptung
aufrechterhalten werden. Danach könnte die ganze Fragestellung
irrelevant sein.
Schließlich bringt der jetzige NPR auch neue
Szenarien
für eine Drohung mit einem Nuklearwaffeneinsatz ins Spiel. So
heißt es: „Zu diesen extremen Umständen
(in denen ein
Nuklearwaffeneinsatz in Betracht gezogen werden könnte
–
O.N.) können signifikante nichtnukleare strategische Angriffe
gehören. Zu solchen signifikanten nicht-nuklearen,
strategischen
Angriffen gehören – ohne Anspruch auf
Vollständigkeit
– Angriffe auf die zivile Bevölkerung oder die
Infrastruktur
der USA, der Verbündeten oder Partner sowie Angriffe auf US-
oder
alliierte Nuklearkräfte, deren Kommando und
Kontrollstrukturen,
Warnsysteme oder Auswertefähigkeiten für
Angriffe.“
Der Nuclear Posture Review reklamiert zudem für
die USA
ausdrücklich das Recht, die Definition eines nicht-nuklearen,
strategischen Angriffs jederzeit ändern zu können und
lehnt
eine Politik des Verzichts auf einen nuklearen Ersteinsatz ab.
Kernwaffen wird damit zumindest deklaratorisch eine deutlich
größere und flexibler interpretierbare Rolle
zugewiesen als
unter Barack Obama. Damit vergrößert sich die Zahl
jener
Situationen erheblich, in denen die US-Regierung einen
Nuklearwaffeneinsatz für legitim oder gar legal halten
könnte.
Was soll sich ändern?
Der NPR hält im Großen und Ganzen an
der
umfassenden Modernisierung des gesamten USNuklearpotentials fest, die
bereits Barak Obamas NPR vorsah. Die nukleare Triade aus luft-, see-
und landgestützten Trägersystemen bleibt
unangetastet, die
konzeptionelle Einbindung der Raketenabwehr in das Abschreckungskonzept
und die nuklear Teilhabe innerhalb der NATO samt der damit verbundenen
Stationierung nicht-strategischer Nuklearwaffen in Europa ebenfalls.
Alle Trägersysteme, deren künftige
atomare
Sprengsätze, die technische Führungs- und
Kommunikationsstruktur und die industrielle Infrastruktur für
den
Atomwaffenbau sollen – wie vorgesehen – sukzessive
modernisiert oder ersetzt werden. Bestandteil der Planung bleiben neben
der modifizierten, zielgenaueren Atombombe B61-12 also zum Beispiel
auch die Weiterentwicklung des Sprengkopfes für
Marschflugkörper zum Modell W80-4, neue Trägersysteme
wie der
künftige Bomber B-21 Raider, die neuen Raketen-U-Boote der
Columbus-Klasse, der geplante neue luftgestützte
Marschflugkörper LRSO und die Entwicklung einer neuen
landgestützten Interkontinentalrakete.
Hinzu kommen einige neue Zusatzvorhaben, die den spezifischen Bedarf
einer tailored deterrence widerspiegeln. Die wichtigsten sind:
- Die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfs mit
kleinerer
Sprengkraft für seegestützte Langstreckenraketen
(SLBM). Wie
„klein“ die Sprengkraft dieses Sprengkopfes sein
soll, sagt
der NPR nicht explizit. Technisch bedeutet dies wahrscheinlich, dass
von den beiden explosiven Nuklearkomponenten, die derzeit in einem
solchen Gefechtskopf enthalten sind, die größere
entfernt
oder abgeschaltet wird, während der kleinere atomare
Zündsprengsatz aktiv bleibt. Damit könnte die
Sprengkraft auf
wenige Kilotonnen beschränkt werden. Robert Soofer, ein hoher
Pentagonbeamter, sprach denn auch erläuternd von einer
Sprengkraft
unterhalb jener der Hiroshima-Bombe, also von weniger als 12,5
Kilotonnen. Mit solchen Sprengköpfen soll eine kleine Zahl
seegestützter Langstreckenraketen ausgerüstet werden.
–
Kritiker befürchten, dies werde sich destabilisierend
auswirken.
Kein Gegner sei in der Lage, eine anfliegende seegestützte
Langstreckenrakete vom Typ Trident D5 mit einem oder mehreren solcher
kleinen Sprengköpfen rechtzeitig von einer baugleichen Rakete
zu
unterscheiden, die viele große strategische
Sprengköpfe
trage.
- Der von Präsident Obama angeordnete Verzicht
der USA
auf seegestützte nukleare Marschflugkörper (SLCM)
soll
überdacht und die erneute Stationierung solche
Flugkörper
vorbereitet werden. Damit soll einerseits die Fähigkeit der
USA zu
einer einsetzbaren regionalen Nuklearabschreckung verbessert werden,
andererseits aber auch auf die angebliche Verletzung des INF-Vertrages
durch Russland reagiert werden. Der US-Kongresses hat im aktuellen
Verteidigungshaushaltsgesetz (FY2018 NDAA) an das Pentagon
überdies die Forderung gerichtet, die Entwicklung eines neuen
landgestützten, konventionellen Marschflugkörpers
mittlerer
Reichweite (GLCM) in die Planung aufzunehmen. Während ein
neuer
GLCM den INF-Vertrag verletzen würde, wäre dies bei
einem
SLCM nicht der Fall.
- Obamas Modernisierungsplan sah vor, mehrere
Sprengkopftypen
mittel- und längerfristig aus den US-Depots zu verbannen. So
sollte die Atombombe B83 mit ihrer gewaltigen Sprengkraft von 1,2
Megatonnen möglichst bald außer Dienst gestellt
werden.
Langfristig sollten außerdem die vier derzeit vorhandenen
Sprengkopftypen für Langstreckenraketen auf nur noch zwei
Versionen reduziert werden. Die Trump-Administration plant jetzt, die
Bomben vom Typ B83 zumindest solange im Dienst zu halten, bis deren
Aufgabe nachweislich von einer anderen Waffe übernommen werden
kann. Von einer Reduzierung der Typenvielfalt bei den nuklearen
Gefechtsköpfen für strategische Raketen ist jetzt
nicht mehr
die Rede. Im Gegenteil. Es soll sogar eine zusätzliche
Variante
geben.
- Zudem soll die Reduzierung des derzeit nicht auf
aktiven
Trägersystemen genutzten Reservepotentials an atomaren
Sprengköpfen künftig zurückhaltender
gehandhabt werden.
So soll zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass vorrangig jene
Sprengköpfe erhalten bleiben, die man zusätzlich auf
vorhandenen Trägersystemen stationieren
könnte.
Zudem werden einige politisch wichtige Vorgaben
für die
Nuklearpolitik aus der Zeit Obamas in dem neuen NPR explizit
zurückgenommen oder nicht mehr erwähnt:
- Obamas Vorgabe, keine neuen Nuklearwaffen und keine
atomaren Waffen mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln, wird
explizit
außer Kraft gesetzt, weil sie die Entwicklung neuer
Sprengköpfe für die maßgeschneiderte
Abschreckung
behindern könnte.
- Variiert und eingeschränkt wird auch die
negative
Sicherheitsgarantie, die Obama nicht-nuklearen Staaten gab, die ihre
Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nachkommen. Obama
verfügte, ihnen auch dann nicht mit einem Atomwaffeneinsatz zu
drohen, wenn sie über chemische oder traditionelle biologische
Waffen verfügten oder diese einsetzen sollten. Diese Zusage
wird
nun auf ihren ersten, nuklearen Teil beschränkt.
- Obamas Zusage, dass die USA die Rolle ihrer
Nuklearwaffen weiter reduzieren werden, wird nicht wiederholt.
- Der jetzige NPR erwähnt die atomare
Abrüstungsverpflichtung der USA aus Art. VI des
Nichtverbreitungsvertrags (NPT) nicht. Damit signalisiert er eine
Geringschätzung der nuklearen Abrüstung, die viele
Länder beunruhigen wird und eine schwere Belastung
für die
nächste Überprüfungskonferenz des
Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 2020 darstellen kann. Atomare
Abrüstung war schließlich die zentrale
Gegenleistung, die
die Nuklearmächte den nichtnuklearen Mitgliedern des NPT
dafür versprochen haben, dass diese nicht auch nach Kernwaffen
streben.
Um das gesamte Spektrum der in Trumps NPR vorgesehenen
Modernisierungsplanungen zu finanzieren, sind spätestens im
kommenden Jahrzehnt deutlich mehr Finanzmittel erforderlich als bislang
vorgesehen.
Das Konzept einer maßgeschneiderten
Abschreckung
dürfte aus vielen Gründen verbreitet auf Skepsis und
Ablehnung stoßen sowie neue Bedrohungswahrnehmungen und
möglicherweise auch Gegenmaßnahmen auslösen.
Die Darstellung der Bedrohung durch Russland, China, den
Iran
und eingeschränkter Nordkorea, von der die NPR-Autoren
ausgehen,
ist – vorsichtig formuliert – sehr pessimistisch.
Man
könnte sie in Teilen auch als bewusstes Zerrbild einer
imaginierten Wirklichkeit beschreiben, das nicht auf nachvollziehbaren
Beweisen beruht. Die Vorwürfe gegen diese Staaten und die
Intentionen, die ihnen im NPR unterstellt werden, werden andere
Länder oft nicht teilen. Drei Beispiele:
- Washington wirft Moskau die Verletzung etlicher
Rüstungskontrollabkommen vor, insbesondere des INF-Vertrags.
Ob
letzterer Vorwurf tatsächlich zutrifft, darüber
herrscht
selbst in der NATO kein Konsens. Die USA wollten ihn bislang nicht
detailliert belegen.
- Ähnliches gilt für die
Interpretation der Rolle
nicht-strategischer Nuklearwaffen in der russischen
Militärdoktrin: „Moskau droht mit dem und
übt den
begrenzten Atomwaffeneinsatz und suggeriert damit die falsche
Erwartung, dass eine nukleare Erpressungsdrohung oder ein begrenzter
Ersteinsatz die USA und die NATO paralysieren könnte, sodass
der
Krieg zu für Russland günstigen Bedingungen beendet
werden
kann. Manche in den USA bezeichnen das als Doktrin ‚der
Eskalation zwecks Deeskalation‘“, heißt
es im NPR. In
der russischen Militärdoktrin steht dagegen lediglich:
„Die
Russische Föderation behält sich das Recht vor, als
Antwort
auf einen gegen sie und/oder ihre Verbündeten erfolgten
Einsatz
von Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen
ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt auch für den Fall
einer Aggression mit konventionellen Waffen gegen die Russische
Föderation, bei der die Existenz des Staates selbst in Gefahr
gerät.“
- Im Blick auf den Iran hält der NPR fest,
dieser
erhalte sich im Rahmen des Atomabkommens einen substantiellen Teil der
technologischen Fähigkeiten, um sich nach dem Auslaufen der
Beschränkungen im Jahr 2031 und einer entsprechenden
politischen
Entscheidung binnen eines einzigen Jahres eine Atomwaffe zuzulegen.
Zumindest an der zeitlichen Einschätzung kann man berechtigt
zweifeln. Dass der Iran sich bislang an dieses Abkommen genau
hält, ist dem NPR dagegen keine Erwähnung wert.
Als bedrohlich scheint den Autoren des NPR im
Übrigen
bereits zu gelten, wenn Staaten wie Russland, China, der Iran und
andere sich nicht den Vorstellungen und Erwartungen Washingtons beugen.
Vor diesem Hintergrund zielen die von den Autoren geschürten
Ängste wohl primär darauf, einen Ausbau der nuklearen
Möglichkeiten der USA zu legitimieren, und wecken immer wieder
den
Verdacht, unter dem Vorwand einer wirksameren Abschreckung deren
Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung verbessern zu
wollen
– einmal mehr geleitet von dem gefährlichen
Irrglauben, dass
nuklearer Konflikte mit der richtigen Strategie und den richtigen
Waffen regional begrenzbar und führbar seien.
Für Rüstungskontrolle bleibt in einem solchen Konzept
wenig Raum.
Rüstungskontrollvereinbarungen könnten die eigene
Freiheit
zur einem möglichst flexiblen und effektiven nuklearen
Potenzial
begrenzen oder behindern – unabhängig davon, ob als
Ziel der
maßgeschneiderten Abschreckung Kriegsverhinderung oder
Kriegführungsfähigkeit angenommen wird.
Rüstungskontrolle wird deshalb vorrangig als
Nichtweiterverbreitung bei anderen verstanden, die es durchzusetzen
gelte. Darüber hinaus kann Rüstungskontrolle die
Funktion
zukommen, die Konkurrenz zwischen großen Staaten zu managen.
Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verlieren also unter
Donald
Trump wohl weiter an Bedeutung. Der Nuclear Posture Review erinnert
dagegen an Trumps sicherheitspolitisches Credo aus dem Wahlkampf:
„Frieden durch Stärke!“
* – Was im Übrigen angesichts der fortgesetzten Entwicklung des neuen Atombombentyps B61-12
durchaus partiell infrage zu stellen war.
** – Amerikanische
Experten haben das für den Fall einer Ausschaltung der
fünf
zentralen Einrichtungen des nordkoreanischen Atomwaffenkomplexes schon
mal „durchgespielt“:
Während beim Einsatz herkömmlicher strategischer
Nukleargefechtsköpfe mit mehreren Millionen Toten, vor allem
in
Nord- und Südkorea, zu rechnen wäre, wären
es mit B61-12
angeblich nur wenige Hundert.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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