Das Blättchen
Nr. 4 / 12. Februar 2018

Wissenschaft & Frieden
Nr. 1 / 2018


Tailored Deterrence – Eine Nuklearpolitik für Donald Trump

von Otfried Nassauer


Jeder US-Präsident, der zum ersten Mal gewählt wird, muss dem Kongress nach einem Amtsjahr eine Blaupause seiner künftigen Nuklearpolitik vorlegen. Donald Trump hat das jetzt getan. Nuclear Posture Review (NPR) heißt das Dokument. Anfang Februar wurde es öffentlich vorgestellt. Es unterscheidet sich nur wenig von einem Entwurf, der bereits im Januar kursierte.

Der Nuclear Posture Review soll unter anderem auf folgende Fragen antworten:

  • Wie soll sich das Nuklearwaffenpotential der USA in Zukunft verändern?
  • Welche politische und militärische Rolle sollen die US-Atomwaffen künftig erfüllen?
  • Wird der Bau neuer oder anderer Kernwaffen verfolgt?
  • Wie geht es mit der nuklear-industriellen Infrastruktur, mit der atomaren Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitungspolitik weiter?

Trumps NPR entwirft das Konzept einer „maßgeschneiderten Abschreckung“, einer tailored deterrence. Über 40 Mal kommt in dem Dokument das Wort tailored vor. Mit diesem NPR hat Donald Trump einem Dokument zugestimmt, das vorgeblich Krieg und Atomwaffeneinsätze durch eine flexiblere Abschreckung verhindern will, aber von anderen Staaten als ziemlich konfrontativ und bedrohlich wahrgenommen werden dürfte. Auf jeden Fall verspricht es, teuer zu werden.


Maßgeschneiderte Abschreckung – das Konzept

Neu ist diese Idee einer tailored deterrence nicht. Sie wurde bereits in der ersten Amtszeit von George W. Bush unter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt und Anfang 2004 im Entwurf eines künftigen Strategic Deterrence Joint Operating Concept durch das Pentagons vorgestellt. Knapp drei Jahre später, Ende Dezember 2006, wurde daraus eine offizielle, von Rumsfeld unterzeichnete Zukunftskonzeption für die US-Streitkräfte, die den Titel Deterrence Operations – Joint Operating Concept – Version 2.0 trug.

In der verbleibenden Amtszeit Bushs blieb es allerdings eine bloß doktrinäre Konzeption des Militärs, nicht zuletzt, weil Rumsfeld sein Ministeramt aufgab und der Kongress weiterhin den Bau von Atomwaffen mit kleiner und kleinster Sprengkraft nicht unterstützte. Das blieb auch unter Bushs Nachfolger Barak Obama so, der in seinem Nuclear Posture Review 2010 festlegte, er wolle „keine neuen und keine Nuklearwaffen mit neuen Fähigkeiten“ entwickeln lassen.*

Unter Obama griff dessen republikanischer Verteidigungsminister Chuck Hagel die Bezeichnung tailored deterrence 2013 auf, um die bilateral mit Südkorea vereinbarte Abschreckungsstrategie gegen Nordkorea zu beschreiben.

Wofür steht der Ansatz tailored deterrence jetzt? Im Kern und verkürzt: Um potentielle regionale oder strategische Gegner von einem Atomwaffeneinsatz gegen die USA oder deren Verbündete abzuschrecken oder um sie von einer nuklearen Eskalation in einem nichtnuklearen Konflikt abzuhalten, sollen diese potentiellen Gegner jeweils mit einer auf sie maßgeschneiderten Strategie abgeschreckt werden. Dazu gehört unter anderem auch, dass die Meinungsbildung, der politische Wille und das Handeln dieser Gegner gezielt so beeinflusst werden sollen, dass sie von ihnen unterstellten Plänen für potentielle Nuklearwaffeneinsätze ablassen, weil diese ihnen aussichtslos erscheinen. Gegnerische Akteure sollen aufgrund politischen Drucks, militärischer Drohungen und der Einschätzung der militärischen Fähigkeiten der USA zu dem Schluss kommen, dass es für sie in einer militärischen Auseinandersetzung nichts zu gewinnen gibt, weil im eigenen Land unakzeptable Schäden entstünden, während man selbst den USA und deren Verbündeten höchstens begrenzten Schaden zufügen könnte.

Dazu bedarf es auf Seiten der USA, folgt man den Autoren des NPR, möglichst flexibel einsetzbarer militärischer Möglichkeiten offensiver und defensiver Art, mit denen man den betreffenden Gegnern drohen kann. Die atomaren Waffen der USA müssten möglichst glaubwürdig einsetzbar sein. Ihre Sprengkraft und die ungewollten Kollateralschäden, die sie anrichten würden, dürften nicht so groß sein, dass die USA selbst vor ihrem Einsatz zurückschrecken könnten. Zudem müsse es eine flexible, auch auf regionale Bedrohungen ausgerichtete Raketenabwehr geben, die auf die jeweiligen offensiven gegnerischen Fähigkeiten zugeschnitten sei. Sie müsse das Bild einer glaubwürdigen Verteidigungsmöglichkeit gegen einen Angriff auf die USA und deren Verbündete vermitteln. Die Tatsache, dass sich mehr als 30 Staaten weltweit auf den Schutz durch die atomaren Waffen Washingtons, die sogenannte erweiterte Abschreckung verließen, mache zudem deutlich, wie wichtig es sei, dass die nukleare Abschreckung der USA auch den Verbündeten in den verschiedenen Weltregionen glaubwürdig erscheine. Angesichts der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der potentiellen Gegner Washingtons, der ebenfalls jeweils spezifischen Sicherheitssituation in den unterschiedlichen Weltregionen und der verschiedenen Erwartungen der Verbündeten an eine nukleare Rückversicherung müsse für die USA als Maxime gelten: „No size fits it all“ – es gibt nicht das eine Nuklearpotential, nicht die eine Strategie, die für alle Abschreckungsszenarien geeignet wären. Der Trump‘sche NPR diskutiert das Konzept einer maßgeschneiderten Nuklearabschreckung mit Blick auf Russland, China, Nordkorea, den Iran und die Rückversicherung regionaler Verbündeter. Er wirbt für dieses Konzept, indem er es als wirksame Form der Kriegsverhinderung darstellt und zudem als Weg, andere Staaten – notfalls mit Druck oder Drohung – zur Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen und Nichtverbreitungszielen zu bewegen.

Dass bei der nuklearen Abrüstung seit längerem keine Fortschritte mehr erzielt werden, liegt aus Sicht der Verfasser des NPR ausschließlich daran, dass andere Staaten, vor allem Russland, dem guten Beispiel oder den gutgemeinten Vorschlägen der USA nicht folgten, sondern – im Gegenteil –nuklear aufrüsteten und höchst gefährliche Veränderungen hinsichtlich der Rolle ihrer Nuklearwaffen vornähmen, die die USA und deren Verbündete immer gefährlicher werdenden Bedrohungen aussetzten.

Betrachtet man das Konzept der tailored deterrence von den dafür geforderten militärischen Fähigkeiten her oder durch die Brille potentieller Gegner, dann läuft es allerdings auf den Aufbau eines möglichst kriegführungsfähigen Nuklearpotentials seitens der USA hinaus, das die Schwelle, Atomwaffen einzusetzen, deutlich senkt, weil dafür vor allem zusätzliche zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft benötigt werden und zur Beschaffung vorgesehen sind, bei deren Einsatz die Kollateralschäden relativ klein und kalkulierbar wären. Mit dem Einsatz solcher Waffen kann – dem NPR zufolge – glaubwürdiger gedroht werden.

Konkret vorgesehen sind:

  • unterschiedliche Trägersysteme für atomare Waffen kleiner und großer Sprengkraft, die diese einerseits so prompt und irreversibel wie eine Langstreckenrakete und andererseits so gut kontrollierbar wie mit einem Flugzeug, also gegebenenfalls auch rückbeorderbar, zum Ziel bringen können;
  • möglichst wirksame strategische und regionale Raketenabwehrsysteme – deren konkrete Darstellung soll in einem separaten Ballistic Missile Defense Review erfolgen – für den Fall, dass ein Gegner zurückschlägt, sowie 
  • verbesserte Fähigkeiten zu regionaler Kriegführung, die zudem bei unbeteiligten atomar bewaffneten Gegnern im Falle des Einsatzes keinen ungewollten Bedrohungsalarm auslösen.


So betrachtet, ist das Ziel und zugleich das Ergebnis einer tailored deterrence ein besser einsetzbares nukleares Kriegführungspotential. Die Selbstabschreckung sinkt, ein Nuklearwaffeneinsatz wird leichter vorstellbar und die Schwelle, auf diese Option zurückzugreifen, wird niedriger. Die technische Entwicklung befördert die Umsetzung einer solchen Strategie, weil moderne und modernisierte Nuklearwaffen deutlich zielgenauer gebaut werden können, sodass sie mit deutlich kleineren Sprengköpfen als bisher und modernsten Zündsystemen auch dann eine ausreichend große Zerstörungswahrscheinlichkeit erreichen, wenn das entsprechende Ziel bislang nur mit einer Waffe deutlich größerer Sprengkraft erfolgversprechend angegriffen werden konnte.**

Dass man ihr Konzept als eines zur Senkung der nuklearen Einsatzschwelle und zur Stärkung der Fähigkeit zu atomarer Kriegsführung interpretieren kann, wussten die Autoren des jetzigen NPR natürlich nur zu gut. Daher ihre prophylaktische Behauptung des Gegenteils: „Um es klar zu sagen: Dies hat nicht die Intention, zur nuklearen Kriegführung zu befähigen, und es befähigt auch nicht dazu. Es wird auch die Nuklearschwelle nicht absenken. Vielmehr wird die Erweiterung der maßgeschneiderten Reaktionsmöglichkeiten der USA dazu führen, dass die nukleare Schwelle angehoben wird und dazu beitragen, dass potentielle Gegner keinen möglichen Vorteil in einer begrenzten nuklearen Eskalation sehen werden, wodurch ein Nuklearwaffeneinsatz weniger wahrscheinlich wird.“

Dieser nukleartheologischen Behauptung kann man nur glauben oder nicht. Sie oder das Gegenteil zu beweisen, ist nicht möglich. Bis zu einem Versagen der nuklearen Abschreckung kann die Behauptung aufrechterhalten werden. Danach könnte die ganze Fragestellung irrelevant sein.

Schließlich bringt der jetzige NPR auch neue Szenarien für eine Drohung mit einem Nuklearwaffeneinsatz ins Spiel. So heißt es: „Zu diesen extremen Umständen (in denen ein Nuklearwaffeneinsatz in Betracht gezogen werden könnte – O.N.) können signifikante nichtnukleare strategische Angriffe gehören. Zu solchen signifikanten nicht-nuklearen, strategischen Angriffen gehören – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Angriffe auf die zivile Bevölkerung oder die Infrastruktur der USA, der Verbündeten oder Partner sowie Angriffe auf US- oder alliierte Nuklearkräfte, deren Kommando und Kontrollstrukturen, Warnsysteme oder Auswertefähigkeiten für Angriffe.“

Der Nuclear Posture Review reklamiert zudem für die USA ausdrücklich das Recht, die Definition eines nicht-nuklearen, strategischen Angriffs jederzeit ändern zu können und lehnt eine Politik des Verzichts auf einen nuklearen Ersteinsatz ab. Kernwaffen wird damit zumindest deklaratorisch eine deutlich größere und flexibler interpretierbare Rolle zugewiesen als unter Barack Obama. Damit vergrößert sich die Zahl jener Situationen erheblich, in denen die US-Regierung einen Nuklearwaffeneinsatz für legitim oder gar legal halten könnte.


Was soll sich ändern?

Der NPR hält im Großen und Ganzen an der umfassenden Modernisierung des gesamten USNuklearpotentials fest, die bereits Barak Obamas NPR vorsah. Die nukleare Triade aus luft-, see- und landgestützten Trägersystemen bleibt unangetastet, die konzeptionelle Einbindung der Raketenabwehr in das Abschreckungskonzept und die nuklear Teilhabe innerhalb der NATO samt der damit verbundenen Stationierung nicht-strategischer Nuklearwaffen in Europa ebenfalls.

Alle Trägersysteme, deren künftige atomare Sprengsätze, die technische Führungs- und Kommunikationsstruktur und die industrielle Infrastruktur für den Atomwaffenbau sollen – wie vorgesehen – sukzessive modernisiert oder ersetzt werden. Bestandteil der Planung bleiben neben der modifizierten, zielgenaueren Atombombe B61-12 also zum Beispiel auch die Weiterentwicklung des Sprengkopfes für Marschflugkörper zum Modell W80-4, neue Trägersysteme wie der künftige Bomber B-21 Raider, die neuen Raketen-U-Boote der Columbus-Klasse, der geplante neue luftgestützte Marschflugkörper LRSO und die Entwicklung einer neuen landgestützten Interkontinentalrakete.

Hinzu kommen einige neue Zusatzvorhaben, die den spezifischen Bedarf einer tailored deterrence widerspiegeln. Die wichtigsten sind:

  • Die Entwicklung eines atomaren Sprengkopfs mit kleinerer Sprengkraft für seegestützte Langstreckenraketen (SLBM). Wie „klein“ die Sprengkraft dieses Sprengkopfes sein soll, sagt der NPR nicht explizit. Technisch bedeutet dies wahrscheinlich, dass von den beiden explosiven Nuklearkomponenten, die derzeit in einem solchen Gefechtskopf enthalten sind, die größere entfernt oder abgeschaltet wird, während der kleinere atomare Zündsprengsatz aktiv bleibt. Damit könnte die Sprengkraft auf wenige Kilotonnen beschränkt werden. Robert Soofer, ein hoher Pentagonbeamter, sprach denn auch erläuternd von einer Sprengkraft unterhalb jener der Hiroshima-Bombe, also von weniger als 12,5 Kilotonnen. Mit solchen Sprengköpfen soll eine kleine Zahl seegestützter Langstreckenraketen ausgerüstet werden. – Kritiker befürchten, dies werde sich destabilisierend auswirken. Kein Gegner sei in der Lage, eine anfliegende seegestützte Langstreckenrakete vom Typ Trident D5 mit einem oder mehreren solcher kleinen Sprengköpfen rechtzeitig von einer baugleichen Rakete zu unterscheiden, die viele große strategische Sprengköpfe trage.
  • Der von Präsident Obama angeordnete Verzicht der USA auf seegestützte nukleare Marschflugkörper (SLCM) soll überdacht und die erneute Stationierung solche Flugkörper vorbereitet werden. Damit soll einerseits die Fähigkeit der USA zu einer einsetzbaren regionalen Nuklearabschreckung verbessert werden, andererseits aber auch auf die angebliche Verletzung des INF-Vertrages durch Russland reagiert werden. Der US-Kongresses hat im aktuellen Verteidigungshaushaltsgesetz (FY2018 NDAA) an das Pentagon überdies die Forderung gerichtet, die Entwicklung eines neuen landgestützten, konventionellen Marschflugkörpers mittlerer Reichweite (GLCM) in die Planung aufzunehmen. Während ein neuer GLCM den INF-Vertrag verletzen würde, wäre dies bei einem SLCM nicht der Fall.
  • Obamas Modernisierungsplan sah vor, mehrere Sprengkopftypen mittel- und längerfristig aus den US-Depots zu verbannen. So sollte die Atombombe B83 mit ihrer gewaltigen Sprengkraft von 1,2 Megatonnen möglichst bald außer Dienst gestellt werden. Langfristig sollten außerdem die vier derzeit vorhandenen Sprengkopftypen für Langstreckenraketen auf nur noch zwei Versionen reduziert werden. Die Trump-Administration plant jetzt, die Bomben vom Typ B83 zumindest solange im Dienst zu halten, bis deren Aufgabe nachweislich von einer anderen Waffe übernommen werden kann. Von einer Reduzierung der Typenvielfalt bei den nuklearen Gefechtsköpfen für strategische Raketen ist jetzt nicht mehr die Rede. Im Gegenteil. Es soll sogar eine zusätzliche Variante geben.
  • Zudem soll die Reduzierung des derzeit nicht auf aktiven Trägersystemen genutzten Reservepotentials an atomaren Sprengköpfen künftig zurückhaltender gehandhabt werden. So soll zum Beispiel dafür gesorgt werden, dass vorrangig jene Sprengköpfe erhalten bleiben, die man zusätzlich auf vorhandenen Trägersystemen stationieren könnte. 

Zudem werden einige politisch wichtige Vorgaben für die Nuklearpolitik aus der Zeit Obamas in dem neuen NPR explizit zurückgenommen oder nicht mehr erwähnt:

  • Obamas Vorgabe, keine neuen Nuklearwaffen und keine atomaren Waffen mit neuen Fähigkeiten zu entwickeln, wird explizit außer Kraft gesetzt, weil sie die Entwicklung neuer Sprengköpfe für die maßgeschneiderte Abschreckung behindern könnte.
  • Variiert und eingeschränkt wird auch die negative Sicherheitsgarantie, die Obama nicht-nuklearen Staaten gab, die ihre Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag nachkommen. Obama verfügte, ihnen auch dann nicht mit einem Atomwaffeneinsatz zu drohen, wenn sie über chemische oder traditionelle biologische Waffen verfügten oder diese einsetzen sollten. Diese Zusage wird nun auf ihren ersten, nuklearen Teil beschränkt.
  • Obamas Zusage, dass die USA die Rolle ihrer Nuklearwaffen weiter reduzieren werden, wird nicht wiederholt.
  • Der jetzige NPR erwähnt die atomare Abrüstungsverpflichtung der USA aus Art. VI des Nichtverbreitungsvertrags (NPT) nicht. Damit signalisiert er eine Geringschätzung der nuklearen Abrüstung, die viele Länder beunruhigen wird und eine schwere Belastung für die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages im Jahr 2020 darstellen kann. Atomare Abrüstung war schließlich die zentrale Gegenleistung, die die Nuklearmächte den nichtnuklearen Mitgliedern des NPT dafür versprochen haben, dass diese nicht auch nach Kernwaffen streben.

Um das gesamte Spektrum der in Trumps NPR vorgesehenen Modernisierungsplanungen zu finanzieren, sind spätestens im kommenden Jahrzehnt deutlich mehr Finanzmittel erforderlich als bislang vorgesehen.

Das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung dürfte aus vielen Gründen verbreitet auf Skepsis und Ablehnung stoßen sowie neue Bedrohungswahrnehmungen und möglicherweise auch Gegenmaßnahmen auslösen.

Die Darstellung der Bedrohung durch Russland, China, den Iran und eingeschränkter Nordkorea, von der die NPR-Autoren ausgehen, ist – vorsichtig formuliert – sehr pessimistisch. Man könnte sie in Teilen auch als bewusstes Zerrbild einer imaginierten Wirklichkeit beschreiben, das nicht auf nachvollziehbaren Beweisen beruht. Die Vorwürfe gegen diese Staaten und die Intentionen, die ihnen im NPR unterstellt werden, werden andere Länder oft nicht teilen. Drei Beispiele:

  • Washington wirft Moskau die Verletzung etlicher Rüstungskontrollabkommen vor, insbesondere des INF-Vertrags. Ob letzterer Vorwurf tatsächlich zutrifft, darüber herrscht selbst in der NATO kein Konsens. Die USA wollten ihn bislang nicht detailliert belegen. 
  • Ähnliches gilt für die Interpretation der Rolle nicht-strategischer Nuklearwaffen in der russischen Militärdoktrin: „Moskau droht mit dem und übt den begrenzten Atomwaffeneinsatz und suggeriert damit die falsche Erwartung, dass eine nukleare Erpressungsdrohung oder ein begrenzter Ersteinsatz die USA und die NATO paralysieren könnte, sodass der Krieg zu für Russland günstigen Bedingungen beendet werden kann. Manche in den USA bezeichnen das als Doktrin ‚der Eskalation zwecks Deeskalation‘“, heißt es im NPR. In der russischen Militärdoktrin steht dagegen lediglich: „Die Russische Föderation behält sich das Recht vor, als Antwort auf einen gegen sie und/oder ihre Verbündeten erfolgten Einsatz von Kernwaffen oder anderen Arten von Massenvernichtungswaffen ihrerseits Kernwaffen einzusetzen. Das gilt auch für den Fall einer Aggression mit konventionellen Waffen gegen die Russische Föderation, bei der die Existenz des Staates selbst in Gefahr gerät.“
  • Im Blick auf den Iran hält der NPR fest, dieser erhalte sich im Rahmen des Atomabkommens einen substantiellen Teil der technologischen Fähigkeiten, um sich nach dem Auslaufen der Beschränkungen im Jahr 2031 und einer entsprechenden politischen Entscheidung binnen eines einzigen Jahres eine Atomwaffe zuzulegen. Zumindest an der zeitlichen Einschätzung kann man berechtigt zweifeln. Dass der Iran sich bislang an dieses Abkommen genau hält, ist dem NPR dagegen keine Erwähnung wert.

Als bedrohlich scheint den Autoren des NPR im Übrigen bereits zu gelten, wenn Staaten wie Russland, China, der Iran und andere sich nicht den Vorstellungen und Erwartungen Washingtons beugen. Vor diesem Hintergrund zielen die von den Autoren geschürten Ängste wohl primär darauf, einen Ausbau der nuklearen Möglichkeiten der USA zu legitimieren, und wecken immer wieder den Verdacht, unter dem Vorwand einer wirksameren Abschreckung deren Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung verbessern zu wollen – einmal mehr geleitet von dem gefährlichen Irrglauben, dass nuklearer Konflikte mit der richtigen Strategie und den richtigen Waffen regional begrenzbar und führbar seien.

Für Rüstungskontrolle bleibt in einem solchen Konzept wenig Raum.

Rüstungskontrollvereinbarungen könnten die eigene Freiheit zur einem möglichst flexiblen und effektiven nuklearen Potenzial begrenzen oder behindern – unabhängig davon, ob als Ziel der maßgeschneiderten Abschreckung Kriegsverhinderung oder Kriegführungsfähigkeit angenommen wird. Rüstungskontrolle wird deshalb vorrangig als Nichtweiterverbreitung bei anderen verstanden, die es durchzusetzen gelte. Darüber hinaus kann Rüstungskontrolle die Funktion zukommen, die Konkurrenz zwischen großen Staaten zu managen. Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verlieren also unter Donald Trump wohl weiter an Bedeutung. Der Nuclear Posture Review erinnert dagegen an Trumps sicherheitspolitisches Credo aus dem Wahlkampf: „Frieden durch Stärke!“


* – Was im Übrigen angesichts der fortgesetzten Entwicklung des neuen Atombombentyps B61-12 durchaus partiell infrage zu stellen war.

** – Amerikanische Experten haben das für den Fall einer Ausschaltung der fünf zentralen Einrichtungen des nordkoreanischen Atomwaffenkomplexes schon mal „durchgespielt“:
Während beim Einsatz herkömmlicher strategischer Nukleargefechtsköpfe mit mehreren Millionen Toten, vor allem in Nord- und Südkorea, zu rechnen wäre, wären es mit B61-12 angeblich nur wenige Hundert.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS