Verschollen in Mexiko
Deutsche G36-Gewehre und ihr Endverbleib
von Otfried Nassauer und Wolf Dieter Vogel
„Papier ist zu geduldig“, sagt der
grüne Bundestagsabgeordnete Hans Christian Stroebele und zielt
damit auf eine der zentralen Lücken im deutschen
Rüstungsexportrecht. Für deutsche Waffenexporte
verlangt die Bundesregierung eine Endverbleibserklärung des
Empfängerlandes, überprüft aber nie, ob die
Waffen auch wirklich da sind und bleiben, wo sie dem nach Papier
hingehören. Das kann böse Folgen haben.
Mit Datum vom 9. Januar 2015 bekam Hans
Christian Stroebele
wieder einmal Post aus dem Bundeswirtschaftsministerium – die
Antwort auf eine unscheinbare schriftliche Frage, die er Ende Dezember
eingereicht hatte. Er wollte wissen, was das einschlägige
Kriegswaffentagebuch über den Verbleib von mehreren
Dutzend Heckler & Koch Gewehren des Typs G36 aussagt, deren
Seriennummern ihm vorlagen. Die Schwarzwälder Firma muss in
diesem Buch für jede einzelne Waffe festhalten, an wen
und wann sie geliefert wurde. So steht es im
Kriegswaffenkontrollgesetz und das G36, die Standardwaffe der
Bundeswehr, ist eine Kriegswaffe.
Das Ministerium antwortete Stroebele detailliert. Alle
Gewehre seien in
den Jahren 2006-2008 aufgrund deutscher Genehmigungen nach Mexiko
gliefert worden. Das Empfängerland war Stroebele bereits
bekannt, denn die Seriennummern, nach denen er gefragt hatte,
stammten aus einem mexikanischen Ermittlungsverfahren. Es waren
Nummern, die zu insgesamt 36 Gewehren des Typs G-36 gehörten,
die in der mexikanischen Stadt Iguala von den mexikanischen
Bundesbehörden bei der lokalen Polizei sichergestellt worden
waren. Die örtlichen Polizisten und Behörden stehen
in dem Verdacht, gemeinsam mit Mafiosi im September 2014 in die
Erschießung von Demonstranten und die Entführung
sowie spätere Ermordung von 43 Studenten verwickelt gewesen zu
sein. Ein Fall, der große Aufmerksamkeit erregte und die enge
Verflechtung zwischen manchen lokalen mexikanischen Behörden
und der Mafia ebenso beleuchtete die äußerst
problematische Menschenrechtslage in großen Teilen
Mexikos.
Iguala liegt im mexikanischen Bundesstaat Guerrero,
einem jener vier
Bundesstaaten Mexikos, in die die Bundesregierung keine
Rüstungsexporte erlaubt. Als Berlin im Dezember 2005 und im
September 2007 die Genehmigungen für den Export der
G36-Gewehre erteilte, lag in beiden Fällen eine
Endverbleibserklärung der zuständigen mexikanischen
Bundesbehörde vor. Darin bestätigten die Mexikaner,
dass die Waffen an eine Behörde der Zentralregierung geliefert
und dann an lokale Polizeibehörden in einigen Bundesstaaten
weitergegeben werden sollten. Die Bundesstaaten waren einzeln benannt.
Von Guerrero und den drei anderen Unruhestaaten war dabei mit keinem
Wort die Rede.
Die mexikanischen Behörden argumentieren
allerdings, mit dem
Kauf der Sturmgewehre seien keinerlei Nutzungsbeschränkungen
verbunden gewesen. Diese Lesart ist aus ihrer Sicht sogar
verständlich: Für die deutschen Behörden
besagt die Endverbleibserklärung, Mexiko werde die Gewehre nur
in die explizit genannten Bundesstaaten weitergeben. Für die
mexikanischen Behörden aber zählt, dass niemand ihnen
schriftlich mitgeteilt hat, dass Lieferungen in die
Bundesstaaten Chichihua, Jalisco, Chiapas und Guerrero
unzulässig seien. Genau dort aber landete mehr als die
Hälfte der gelieferten Sturmgewehre: 2.113 G36 sind nach
Angaben der mexikanischen Behörden in Chichihua verteilt
worden, 1.924 in Guerrero, 198 in Jalisco und 561 in Chiapas.
Hat also Mexiko gegen seine mit der
Endverbleibserklärung
eingegangenen Verpflichtungen verstoßen? Oder haben
Heckler&Koch oder Mitarbeiter dieser Firma den mexikanischen
Behörden vorsorglich empfohlen, ihre
Endverbleibserklärung unverdächtig und wasserdicht
auszufüllen, indem die vier umstrittenen Bundesstaaten erst
gar nicht zu erwähnt werden? Das ist noch unbekannt. Bekannt
dagegen ist, dass auch Mitarbeiter der Firma zu Ausbildungszwecken
Reisen in die fraglichen Bundesstaaten unternommen haben, ein Vorgang,
der bei Heckler&Koch kaum unbemerkt bleiben konnte.
Unklar ist darüber hinaus noch immer, wieviele
G36-Gewehre
überhaupt nach Mexiko exportiert wurden. Die
zuständigen mexikanischen Behörden sagen heute, es
seien 9.652 Sturmgewehre eingeführt worden: 8.674
G36V für 11.445.429,74 € und 978 G36C für
1.630.824,78€. Gegenüber dem Waffenregister der
Vereinten Nationen haben sie jedoch nur 7.560 Strumgewehre deklariert.
Beide Angaben widersprechen jedoch den allgemeineren Angaben der
Bundesregierung in ihren jährlichen
Rüstungsexportberichten. Dort ist nur von Genehmigungen
für insgesamt maximal 8.769 Gewehren die Rede – zu
denen möglicherweise auch andere Gewehr-Typen gehören
könnten. Die Differenzen harren weiter einer nachvollziehbaren
Erklärung.
Für Hans Christian Ströbele ist klar,
dass die
bisherige deutsche Endverbleibskontrolle unwirksam ist. Eine
schriftliche Erklärung des Empfängers, deren
Einhaltung nie kontrolliert wird, ist ein Placebo. Sie kann nicht
ausreichen. Künftig muss es zumindest auch möglich
sein, im Nachhinein zu prüfen, ob gelieferte Waffen auch
wirklich da angekommen sind, wo sie angeblich hingehen sollten. Seit
einigen Monaten scheint das auch Abegordneten der SPD und dem
Wirtschafsministerium zu dämmern. Seit dem Frühsommer
2014 prüft das Ministerium wie das möglich werden
könnte. Welche es erwägt, wollte es auch auf
mehrfache Anfrage von Bundestagsabgeordneten bislang nicht mitteilen.
Klärungsbedarf gibt es allerdings auch bei
einem zweiten
Punkt: Die „Politische(n) Grundsätze der
Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen
Rüstungsgütern“ sehen in Kapitel IV Punkt 4
vor: „Ein Empfängerland, das entgegen einer
abgegebenen Endverbleibserklärung den Weiterexport von
Kriegswaffen oder kriegswaffennahen sonstigen
Rüstungsgütern genehmigt oder einen ungenehmigten
derartigen Export wissentlich nicht verhindert hat oder nicht
sanktioniert, wird bis zur Beseitigung dieser Umstände
grundsätzlich von einer Belieferung mit weiteren Kriegswaffen
und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern
ausgeschlossen.“ Es gäbe also die
Möglichkeit, Staaten zu sanktionieren, die ihre
Endverbleibsverpflichtungen verletzten. Bislang wurde von dieser
Möglichkeit jedoch nur äußerst selten
Gebrauch gemacht, möglicherweise sogar noch nie. Steht auch
diese Formulierung nur auf einem Papier, das zu geduldig ist?
Wahrscheinlich ist das so, wie ein anderer konkreter
Fall zeigt: Im
vergangenen Jahr stellte sich heraus, dass Zehntausende Pistolen des
deutschen Herstellers SigSauer über eine Schwesterfirma,
SigSauer Inc., und die US-Army an kolumbianische Behörden
geliefert wurden, obwohl es für eine solche Lieferung aus
Deutschland keine Genehmigung gegeben hätte. Die Waffen aus
Deutschland, so die Endverbleibserklärung, waren für
den US-amerikanischen Binnenmarkt bestimmt. Auf die Frage, ob deshalb
eine Sanktionierung der USA erfolgt sei, reagierte das
Wirtschaftsministerium: „Nein. Die USA sind ein
NATO-Partner.“ In solche Länder sei die
Rüstungsausfuhr „grundsätzlich nicht zu
beschränken“. Ein Motiv klingt durch: Wegen einder
solchen Lapalie schädigt man doch nicht die Beziehungen zu
einem anderen Staat und schon gar nicht zu den USA, dem wichtigsten
Bündnispartner in der NATO.
Ganz so klar, wie das Minsterium vorgibt, ist die Lage
jedoch
keineswegs. Die Möglichkeit einer Sanktionierung ist in den
Politischen Grundsätzen weder auf Drittländer
beschränkt noch sind NATO oder EU-Länder von der
Verpflichtung ausgenommen, verlässliche
Endverbleibserklärungen abzugeben. Die Sicherung des
Endverbleibs wird in den Politischen Grundsätzen in einem
eigenen Kapitel abgehandelt, das für alle Staaten
gleichermaßen gilt. Trotzdem werden bis heute sowohl
für Mexiko als auch für Kolumbien und die USA
weiterhin Rüstungsexportgenehmigungen ausgestellt.
Vor nunmehr fast fünf Jahren haben der
Freiburger
Rüstungsexportgegner Jürgen Grässlin und
sein Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige wegen
der Lieferung von G-36 Sturmgewehren durch Heckler&Koch nach
Mexiko erstattet. Im letzten Jahr ließen sie eine weitere
Anzeige gegen SigSauer wegen der Kolumbienexporte folgen. Aufgrund der
staatsanwaltlichen Ermittlungen ist auch die Bundesregierung etwas
vorsichtiger geworden. Beide Firmen, Heckler&Koch und SigSauer,
erhalten immer seltener Ausfuhrgenehmigungen. Das ist einer der
Gründe, warum der deutsche Kleinwaffenexport derzeit
zurückgeht.
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