30 Jahre Rüstungsträume
Rüstungsplanung: Mit den Träumen von gestern zu den Waffen von morgen für die Kriege von übermorgen
von Otfried Nassauer
»Ein Mensch erhofft sich fromm und still, dass er einst
kriegt, was er will. Bis er dann doch dem Wahn erliegt und
schließlich das will, was er kriegt.«
Besser als mit den Worten des Münchener Pazifisten und
Schriftstellers Eugen Roth kann man das empirisch nachweisbare Ergebnis
deutscher Rüstungsplanung in den letzten Jahrzehnten kaum
beschreiben. Visionär sind Roths Worte zudem.
Sie zweifeln, liebe Leser? Dann lesen sie selbst: Die
längerfristige Planung der Bundeswehr sieht offiziell vor, dass
die Bundeswehr künftig unter anderem mit dem Eurofighter, mit
Kampfdrohnen, luftgestützter Fernmeldeaufklärung an Bord
eines »Breguet Atlantic«-Nachfolgers, dem Hubschrauber
»Tiger« oder zum Beispiel mit dem Panzerabwehrraketensystem
»PARS 3« ausgestattet wird. Vielleicht wird es sogar einen
»Leopard 3« geben.
Die Planungsdokumente, in die wir geschaut haben, um dies zu
erfahren, sind allerdings mehr als 30 Jahre alt. Wir haben nachgelesen,
was der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner in die
erste, von ihm zu verantwortende Bundeswehrplanung schreiben
ließ, nachdem Helmut Kohl und Hans Dietrich Genscher im Jahr 1982
eine schwarz-gelbe Koalition gebildet hatten.
Dort steht noch mehr: Der Nachfolger für die Breguet
Atlantic wird ab 1989 zur Beschaffung anstehen, der Tiger ab 1990. Der
Eurofighter wird 1995 eingeführt, die Kampfdrohne 1997, der
Leopard 3 möglicherweise schon ab 2000. Die 52.000
Panzerabwehrraketen vom Typ PARS-3 sollen ab 1991 zulaufen. Rund 240
Milliarden DM sollten laut der damaligen Planung binnen 15 Jahren in
neue Ausstattung für die Bundeswehr fließen.
Zahlen aus dem Kalten Krieg. Ihr Kontext ist jene Phase, in
der die Nato mit dem sogenannten Rogers-Plan und dem Konzept der
»Follow on Forces Attacks« (FOFA) die Kriegführung in
Mitteleuropa technisch revolutionieren und die Truppen des Warschauer
Paktes sowie dessen nach Zehntausenden zählendes
Großgerät mit modernsten Lenk- und Präzisionswaffen
schon weit jenseits der Front zerschlagen wollte.
Doch trotz des zeitlichen Abstands von 30 Jahren geht es hier
keineswegs um »olle Kamellen«, die längst keine Rolle
mehr spielen. Das schwant dem Leser spätestens, wenn er auch einen
Blick in die aktuelle Bundeswehplanung wagt. Die Beschaffung des
Eurofighters und des Tigers sind weiter im Gange. Sie verlaufen alles
andere als problemlos. Mit der Einführung der luftgestützten
Signalaufklärung als Breguet-Atlantic-Nachfolge konnte bislang
nicht begonnen werden. Sowohl das hierfür vorgesehene
Bundeswehr-Vorhaben »Lapas« als auch die Großdrohne
»Eurohawk« scheiterten. Auch die Kampfdrohne ist weiterhin
Zukunftsmusik. Sie soll jetzt nach 2020 eingeführt werden.
Für das Entwicklungsvorhaben Panzerabwehrrakete PARS empfahlen die
Berater der KPMG Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im
vergangenen Jahr erfolglos den Abbruch statt einer Beschaffung. Es
blieb weiter beider alten Planung, um zu verhindern dass der Tiger
noch auf Jahre zahnlos bleibt, also auf Eck- und
Schneidezähne, die Hauptbewaffnung verzichten muss. Auch die
Entwicklung eines neuen Kampfpanzers, des Leopard 3, wurde durch die
Ukrainekrise und als potentielle Morgengabe für das geplante
Zusammengehen der Panzerhersteller KMW und Nexter vor kurzem wieder auf
die Tagesordnung gespült.
Die ollen Kamellen erzählen uns also weit mehr über
das Phänomen Beschaffungsplanung als den Zuständigen in
Bundeswehr, Verteidigungsministerium, Planungs- und Beschaffungsamt
lieb sein kann. Sie kennzeichnen deren Planung als von mangelndem
Realismus und nur scheinbarer Rationalität geprägt. Sie war
oft und in weiten Bereichen Traumtänzerei, vielfach gekennzeichnet
von einer »Wünsch-Dir-was-Mentalität«, der weder
ein sich stetig wandelndes sicherheitspolitisches Umfeld etwas anhaben
konnte, noch die Haushaltsrealitäten.
Diese »Wünsch-Dir was-Mentalität«
prägte nicht nur die Forderungen des Militärs, sondern auch
die politische Einflussnahme, die immer wieder auf diesen
Planungsbereich einwirkt. Die Hubschrauber Tiger und NH90 sind
beispielsweise Konsequenzen aus Helmut Kohls Wunsch nach einer
verstärkten deutsch-französischen Rüstungskooperation in
den 1980er Jahren. Industriepolitische Einflussnahme wie im Fall des
Transportflugzeugs A400M, insbesondere bei dessen Triebwerk, kommt
ergänzend hinzu. Ebenso lokal- und regionalpolitische
Einflussnahmen, ausgeübt zum Beispiel durch Parlamentarier, die
eine rationale Bundeswehrplanung mit sektoraler oder regionaler
Wirtschaftsförderung verwechseln.
Mitunter dauert es nicht nur 20 oder 30 Jahre, bis ein neues,
größeres Waffensystem entwickelt ist und zur Einführung
kommt. Selbst nach einem solchen Zeitraum kann es noch immer nicht
realisierte Zukunftsplanung oder gar reines Wunschdenken sein. Das
zeigen die Beispiele PARS, Breguet Atlantic-Nachfolge und Kampfdrohne.
Die Objekte der Beschaffungsbegierde wechseln offenbar nur selten, wohl
aber die zu ihrer Legitimation notwendigen Begründungen.
Kontinuität zeigt sich dagegen im Blick auf die industrie- und
arbeitsmarktpolitischen Funktionen, die der Beschaffungspolitik immer
wieder zugesprochen werden.
Teil der Absicherung der unterschiedlichen Interessenslagen
und der Möglichkeit ihrer kontinuierlichen Verfolgung ist eine
systematische Überplanung. In der Beschaffungsplanung steht daher
regelmäßig weit mehr, als die vorhersehbar verfügbaren
Haushaltsmittel hergeben. Die Beschaffungsplanung der Bundeswehr war
von den 1980er bis zu den 2000er Jahren zumeist von systematischer
Überplanung geprägt. Projekte im Multimilliardenumfang
standen zwar auf dem Papier, ihre finanzielle und damit praktische
Umsetzung dagegen in den Sternen. Verzögerungen und Verteuerungen
bei laufenden Vorhaben und das berühmte »Schieben, Strecken,
Streichen« führten dazu, dass die Bugwelle jener Projekte,
die zwar geplant wurden, aber nicht finanzierbar waren,
immer weiter anschwoll.
Selbst ein Einschnitt wie das Ende des Kalten Krieges, die
Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die daraus folgende
Veränderung der sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und
finanziellen Prioritäten führten nicht dazu, dass es zu einem
grundsätzlichen Neuansatz in der Beschaffungsplanung kam. Analog
zur schritt- und scheibchenweisen Verkleinerung der Streitkräfte
wurde auch in der Rüstungsplanung primär geschoben und
gestreckt aber nur notfalls gestrichen. Es sollte rund zehn
weitere Jahre dauern, bis die zahlreicher und größer
werdenden Auslandseinsätze der Bundeswehr die Notwendigkeit
erzwangen, systematischer für diese Einsätze geplantes
Material in jene finanzielle Freiräume zu quetschen, die zwischen
den vertraglich gebundenen Alt- und Großprojekten mit langen
Laufzeiten noch blieben.
Erst unter Verteidigungsminister Peter Struck und
Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan kam es erstmals zu einem
Versuch, diesem jedwedem Realismus spottenden Spuk ein Ende zu setzen.
Den Planern wurde aufgegeben, die realitätsfernen Formen der
Überplanung aufzugeben. In der Haushaltsplanung für das
jeweils kommende Jahr sollte nur noch kleine Auswahl
wünschenswerter Vorhaben aufscheinen, die man umsetzten
könnte, wenn fest eingeplante Mittel nicht verauslagt und daher
umgewidmet werden mussten: Die sogenannten
»Römisch-II-Projekte«.
Doch auch dieser Vorsatz wurde nicht lange
durchgehalten. Als nach 2010 immer gravierendere Probleme mit dem
Mittelabfluss bei Großprojekten wie dem Eurofighter oder dem
A400M entstanden, weil technische oder Projektmanagementprobleme zu
spät erkannt oder von der Industrie verspätet gemeldet
wurden, konnten auch die Römisch-II-Projekte nicht mehr
verhindern, dass verteidigungsinvestive Mittel in Milliardenhöhe
an den Bundeshaushalt zurückflossen.
In den Haushaltsjahren 2015 und 2016 deutet sich deshalb
erneut eine Trendwende an. Die Römisch-II-Projekte werden wieder
zahlreicher, und sie werden umfangreicher. Vermehrt werden wieder
Vorhaben eingestellt, die man gerne hätte, für die aber im
Haushalt entweder noch kein Platz war oder bei denen noch unklar ist,
ob sie rechtzeitig vertragsreif gemacht werden können. Die
Römisch-II-Projekte bekommen die Funktion von Platzhaltern
für das militärisch oder politisch Wünschbare. Zu diesen
Vorhaben gehören jetzt auch wieder Schwergewichte wie die
Modernisierung von 84 Leopard-2-Panzern oder die nächste
Entwicklungsphase für ein Taktisches Luftverteidigungssystem. Mit
anderen Worten: Es geht um mehr als reine Reserve- und Ersatzprojekte.
Manche dieser Vorhaben würden Haushaltsbindungen für die
Folgejahre auslösen. Das klassische, so lange desaströs
wirkende Phänomen der Überplanung droht zurückzukehren.
Schon möglich: Die große Koalition mag den
Beschaffungsplanern als ein geeigneter Zeitraum erscheinen, sowohl
eigene als auch seitens der Politik geäußerte Wünsche
nach deutlich höheren Verteidigungsausgaben umzusetzen. Genug
Geld, um die Summe dieser Wünsche realisieren zu können, wird
es jedoch keineswegs geben. Und somit droht zugleich der Rückfall
in jene Beschaffungsträume, die in der Vergangenheit oft genug zu
einem Scheitern in der Wirklichkeit beigetragen haben. Mehr Geld ist
deshalb kaum die richtige Lösung.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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